Fachartikel

Lauri Reuter

Lauri Reuter

Doktor

Die Zukunft ist so nah, dass wir sie schon schmecken können – Ein Fachartikel zur Zukunft der Lebensmittel, Teil 2 2.

Unser Ernährungssystem war seit der ersten landwirtschaftlichen Revolution um 10 000 v. Chr. in ständigem Wandel, als viele menschliche Kulturen das Jagen und Sammeln zugunsten der Landwirtschaft und Besiedlung hinter sich ließen. Technologie und Verarbeitungstechniken in der einen oder anderen Form sind seitdem ständige Elemente in der Lebensmittelproduktion. Werfen wir einen Blick darauf, wohin uns unser Hungergefühl bisher geführt hat und was die Zukunft der Lebensmittel bringen könnte.

 

Verarbeitete Nahrungsmittel – damals und heute

Glänzende Aluminiumtanks, Personal in Schutzkleidung, kilometerlange Rohrleitungen und Dampf, der aus imposanten Schornsteinen aufsteigt – so stellen sich viele Menschen die technologiegestützte „Lebensmittelverarbeitung“ vor. Aber die Realität ist, dass wir, seit Menschen den ersten Pflug erfunden, die Käseherstellung entdeckt oder erstmals Brot mithilfe von Feuer und Hefe gebacken haben, Technologie und Verarbeitungstechniken nutzen, um uns zu ernähren.

Ohne Verarbeitungsmethoden, Chemikalien für Düngemittel und Schädlingsbekämpfung sowie die Entwicklung neuer Technologien hätte die Nahrungsmittelproduktion niemals mit dem massiven Wachstum der menschlichen Bevölkerung Schritt halten können. Lebensmittel und Technologie sind untrennbar miteinander verbunden, nur haben wir es heute mit einem ganz neuen Level an Komplexität und Ideenreichtum zu tun.

 

Krise und Chance

Unser heutiges Ernährungssystem ist im Umbruch und muss sich schnell ändern, wenn wir seine Umweltbelastung verringern, die Widerstandsfähigkeit gegen den irreparablen Klimawandel stärken und die durch schlechte Ernährungsgewohnheiten verursachte Gesundheitskrise bewältigen wollen. Bisher basierte die primäre Nahrungsmittelproduktion weitgehend auf Pflanzen und Tieren, die wir mit bloßem Auge sehen können. Wenn Sie aber Ihre Aufmerksamkeit auf die Lebensmittel und Lebensmittelproduktionstechniken der Zukunft richten, blicken Sie buchstäblich in das Okular eines Mikroskops.

Die dringende Notwendigkeit von Veränderungen ist offensichtlich. Wir verfügen bereits über die Mittel und Technologien, um mit der Bewältigung der Herausforderungen zu beginnen, vor denen wir stehen. Wissenschaft und Technologie entwickeln sich in einem unglaublichen Tempo. Vor Tausenden von Jahren hatten wir gerade erst begonnen, Kühe zu melken. Heute können wir das gesamte Genom dieser Kuh über Nacht sequenzieren und visualisieren – und tatsächlich jeden anderen lebenden Organismus auf dem Planeten. In Bezug auf die Nahrungsmittelwissenschaft ist das nächste große Ding klein – sehr klein. Mikrobielle Organismen könnten sehr wohl entscheidend für die Ernährung der menschlichen Bevölkerung der Zukunft sein, sowohl hier als auch irgendwann auf anderen Planeten.

 

Science-Fiction ist jetzt Science-Fact

Es besteht eine Tendenz, Lebensmittel oder Lebensmittelbestandteile, die in Laborschalen oder -tanks angebaut werden, für irgendwie unnatürlich zu halten – etwas aus Science-Fiction, das uns mit Angst vor dem Unbekannten erfüllt. Dennoch bin ich bereit zu wetten, dass viele Leute, die dies lesen, gerne einen Burger oder ein anderes Produkt aus Quorn konsumiert haben. Dieses Mykoprotein, das in sterilen Fermentationstanks gezüchtet wird, wurde vor über fünfzig Jahren entdeckt. Damals hat der britische Industrielle J. Arthur Rank der Wissenschaft dazu angeraten, aktiv zu werden, da er befürchtete, dass der Welt eines Tages das Protein ausgehen würde.

Mikroben sind fantastisch effizient darin, einfach Proteine zu erzeugen – oder was auch immer sie produzieren sollen. Sie können als solche angebaut und verzehrt oder zur Herstellung bestimmter Lebensmittelbestandteile verwendet werden. Heute gibt es unzählige Beispiele für innovative Unternehmen, die Mikroben einsetzen, um Tiere vollständig aus der Lebensmittelproduktionskette zu streichen und alles von Molkenproteinen und Eiklar bis hin zu tierischen Fetten für pflanzliche Fleischalternativen herzustellen. Einige nutzen sogar Mikroben, die nichts anderes als Kohlendioxid aus der Luft verbrauchen. Wenn es also Lösungen gibt, um unsere Ernährungssysteme zu verbessern, warum ist dann keine weltweite Umsetzung davon festzustellen?

 

Herbeiführen echter Veränderungen braucht Zeit

Es wird einige Zeit dauern, aber zumindest in Europa und Nordamerika ist bereits eine große Anzahl innovativer neuer Nahrungsmittelprodukte in unseren Supermarktregalen erhältlich, und diese Zahl steigt täglich. Der lokale Supermarkt hat vielleicht bereits Eiscreme auf Lager, in der Molkereiproteine eingesetzt werden, die aus Mikroben hergestellt werden. Sogar die globalen Burgerketten bieten jetzt zu 100 % vegane Optionen, die kaum vom Angebot mit Fleisch zu unterscheiden sind.

Aber es gibt ein paar Faktoren, die das Tempo des Wandels einschränken. Erstens ist die globale Lebensmittelindustrie riesig und komplex. Es werden umfangreiche Subventionen und öffentliche Gelder in bestehende Produktionsmethoden und -verfahren investiert. Zweitens sind Menschen Gewohnheitstiere und ändern sich nur langsam. Wir hätten alle vor Jahren aufhören können, Fleisch zu essen, oder zumindest unseren Konsum reduzieren, aber die meisten von uns haben es nicht getan.

All dies soll nicht heißen, dass sich die Nahrungsmittelindustrie nicht schnell ändern kann. Zum Beispiel gab es die Masthähnchenindustrie nicht vor den 1960er Jahren, und innerhalb von vierzig Jahren eroberte sie die Welt. Wenn Sie nun alle Vögel der Welt stapeln, sind 70 % dieses Stapels Hühner.

 

Der Weltraum, die endgültige Grenze?

Ich glaube definitiv, dass es zu meinen Lebzeiten, sagen wir in den nächsten vierzig Jahren oder so, eine dauerhaft bewohnte Forschungsstation auf dem Mond geben wird. Um Transporte zu vermeiden, müssen die dort verzehrten Lebensmittel auch dort produziert werden. Ohne Felder, Wasser und Sauerstoff müssen die Bewohner*innen dieser raumzeitlichen Siedlung von einem widerstandsfähigen, komplett geschlossenen Lebensmittelproduktionssystem versorgt werden, das vollständig kontrollierbar und äußerst effizient ist. Mir scheint, dass Mikroben ein sehr großer Teil eines solchen Systems sein werden.

Auch auf der Erde wären mikrobielle Systeme, die alle für den Menschen notwendigen Nährstoffe erzeugen, von unschätzbarem Wert, etwa als Absicherungssysteme für humanitäre Krisen wie Dürren oder Kriege. Darüber hinaus würde uns die Entwicklung kleiner, in sich geschlossener Nahrungsmittelproduktionssysteme ermöglichen, unsere Abhängigkeit von Feldern zu verringern. Es würde uns in die Lage versetzen, große Flächen an die Natur zurückzugeben und einen Teil zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt beizutragen.

Dies bedeutet, eine dritte Option von Organismen, Mikroben, in einer Lebensmittelproduktionskette aufzunehmen, die seit Jahrtausenden von Pflanzen und Tieren dominiert wird. Dies erfordert eine ganz neue Reihe von Mess- und Überwachungstechnologien. Ziel ist es, Erkenntnisse aus Produktionstanks zu gewinnen und zu erfahren, wie die Bedingungen für unsere mikroskopisch kleinen Helden optimiert werden können. Die Zukunft der Nahrungsmittelindustrie wird zu 100 % datengesteuert sein, weil wir Dinge überwachen und messen werden, die wir mit bloßem Auge nicht erkennen können.

Es ist klar, dass wir die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren, grundlegend verändern müssen, wenn wir die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, erfolgreich meistern wollen. Das heißt aber nicht, dass wir auf den Genuss unserer Lieblingsdelikatessen verzichten und uns von liebgewonnenen kulinarischen Traditionen verabschieden müssen. Es bedeutet lediglich, dass wir die Grenzen der Nahrungsmittelwissenschaft erweitern müssen, um neue und bessere Möglichkeiten zur Herstellung unserer Lieblingsspeisen zu finden – ganz zu schweigen von der Innovation noch besserer, schmackhafterer Optionen, die wir mit Freude schätzen können.

 

Vielen Dank, dass Sie diesen zweiten Teil meines Artikels zur Zukunft der Lebensmittel gelesen haben, den ich für Vaisala verfasst habe. Teil 1 finden Sie hier »

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Lauri Reuter

Lauri Reuter

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Vaisala

Dr. Lauri Reuter ist Experte für die Zukunft der Lebensmittel. Er kann Auskunft darüber geben, was wir in Zukunft essen werden und wie die Herstellung von Nahrungsmitteln erfolgen wird. Derzeit arbeitet er an Investitionen in mutige nordische Innovationen, die darauf abzielen, das globale Ernährungssystem zu verändern. Dr. Lauri Reuter hat in Biotechnologie promoviert. Er ist ehemaliger Senior Specialist of Disruptive Technologies am Technischen Forschungszentrum Finnland VTT sowie Absolvent des Global Solutions Program der Singularity University.

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